(aus:
Graswurzelrevolution Nr. 285, Januar 2004, www.graswurzel.net) „Wir Magonistas sind Feinde der Ungerechtigkeit“
Im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca leistet der Indigene
Volksrat Ricardo Flores Magón (CIPO-RFM) Widerstand gegen Ausbeutung und Marginalisierung. Neben Chiapas und Guerrero gilt Oaxaca als einer der ärmsten
Bundesstaaten Mexikos. Hier herrschen Gouverneur José Murat und seine
Gefolgsleute von der mächtigen Institutionellen Revolutionären Partei (PRI).
Hier leben rund 3,5 Millionen Menschen, von denen über 50% einer der 16 indigenen
Bevölkerungsgruppen angehören, womit Oaxaca neben Chiapas über den höchsten
Anteil indigener Bevölkerung in ganz Mexiko verfügt. 27% der Bevölkerung sind
AnalphabetInnen, rund 40% arbeiten im Landwirtschaftsbereich. Trotz der mafiösen
Machtstrukturen der Kaziken, Politiker und Unternehmer und der fast alltäglichen
Gewalt gibt es soziale Organisationen, die versuchen, die Not der Menschen zu
lindern und die sich für andere gesellschaftliche Verhältnisse engagieren. Eine
dieser Organisationen ist der Indigene Volksrat von Oaxaca Ricardo Flores
Magón* CIPO-RFM,
der mit einem pazifistisch-libertären Anspruch seit 1997 aktiv ist. Seit
Jahren führt die Organisation Mobilisierungen, Seminare und Projekte durch.
Die Gemeinden des CIPO fordern in der Regel auch die vom Staat garantierten
Gelder ein, die häufig in den Händen der korrupten Regionalverwaltungen
bleiben. Gleichzeitig wird die Organisation mit kontinuierlicher Repression
konfrontiert. Anfang November 2003, zwei Wochen, nachdem ein Angehöriger des
CIPO ermordet worden ist, entstand das folgende Interview mit drei Aktivisten
und einer Aktivistin in der Hauptstadt Oaxaca. Ergänzend zum Interview ist
anzumerken, dass der CIPO in der Linken Oaxacas nicht unumstritten ist. Die
Kritik einiger AktivistInnen richtet sich gegen die
„Alles-oder-Nichts“-Haltung, mit der der CIPO sich gegen die Regierung stellt,
gegen den Personenkult um die „Promis“ der Organisation und gegen das dominante
Auftreten während der kürzlich von über 20 Organisationen durchgeführten
Menschenrechtskarawne in Oaxaca. Interview GWR: Könnt Ihr uns eine Zusammenfassung über Struktur und
Geschichte des CIPO-RFM geben? Juan: Der CIPO wurde als indigene Organisation gegründet.
Wir kämpfen gegen die Ungerechtigkeit. Obwohl viele nicht lesen können, kennen
wir unsere Rechte und fordern Gerechtigkeit. Reynaldo: Der CIPO wurde 1997 als eine soziale Organisation
gegründet, unabhängig von der gängigen Politik. Es sind die einfachen Leute,
die den Rat bilden, wir haben keinen Anführer, der uns befiehlt. Wir treffen
die Entscheidungen in Versammlungen. Wir haben außerdem Kommissionen von RepräsentantInnen.
Die Leute kommen über vier Stufen - verschiedene Seminare - in die Organisation,
niemand zwingt sie. Die Organisation ist das Haus der Leute, hier können alle
reden. Indígenas, Nicht-Indígenas, Arme, Nicht-Arme, Studierende, Gemeinden,
viele Gruppen sind hier in der Organisation. Niemand erhält ein Gehalt, die
RepräsentantInnen und die junta organizadora (Organisationsvorstand) werden
in Generalversammlungen gewählt. Sie arbeiten drei Jahre. Im ersten Jahr werden
sie eingearbeitet, im zweiten führen sie ihre Arbeit durch und im dritten
lernen sie die Nachkommenden an. In jeder Gemeinde oder Gruppe des CIPO gibt
es einen Basisrat, der zwischen Gemeinde und junta organizadora arbeitet, und
darüber informiert, welche Fortschritte es in der Organisation gibt etc. Wenn
es um Entscheidungen geht, fährt niemals ein Compaņero alleine, wir fahren
immer mit 20-25 Leuten, denn wir wollen nicht, dass die Leute wegen eigener Vorteile
handeln, sondern als Kollektiv. Und so wissen alle von den Problemen aller.
Wir haben uns nie an die Regierung verkauft, durch diese Form sind wir sehr
radikal, sehr anders als die Regierung. GWR: Verfügen die Frauen über eigene Strukturen innerhalb
der Organisation? Leonor: Ja, es gibt einen Frauenbereich. Einige Compaņeras
arbeiten mit den Frauen und reden darüber, welche Rechte wir haben, was wir
dafür tun können, wie wir uns verteidigen können. Sie führen Gespräche und
machen Seminare. Wir kennen auch die Revolutionären Frauengesetze der Zapatistas
und sind damit einverstanden. Außerdem stellen wir Kunsthandwerk her, doch
wir können die Waren nicht gut verkaufen, denn sie erzielen keinen guten
Preis. GWR: Wieviele Personen, Gruppen und Gemeinden sind zur Zeit
im CIPO organisiert? Juan: Wenn wir uns alle treffen würden, Männer und Frauen,
wären wir vier- bis fünftausend Personen. Es gibt Gruppen in rund 20 Gemeinden
in Oaxaca. Es gibt drei Gemeinden, San Isidro Aloapan, Santa Maria Yaviche
und Plan de Zaragoza, in denen die Mehrheit im CIPO ist. In allen anderen Gemeinden
und Städten gibt es nicht mehr als Gruppen. Oft haben die Leute noch keine
Vorstellung davon, was der Kampf ist. Und weil die Organisation gegen die Regierung
ist, haben sie Angst vor Repression und deshalb schließen sich viele Dörfer nicht
an. GWR: Habt Ihr den Eindruck, dass die Organisation wächst? Reynaldo: Ja. Es gibt viele Dörfer, die Probleme haben und
wir als CIPO werden gefragt, wie man sie lösen kann. Zur Zeit gibt es mehrere
Dörfer, die Gespräche wollen, es gibt auch Gemeinden, die schon mit den
Seminaren fortgeschritten sind und die zum CIPO gehören wollen. Juan: Schritt für Schritt wachen die Leute auf, sie merken,
dass wir kämpfen und wenden sich an uns. GWR: Ihr habt Euch nach Ricardo Flores Magón benannt - warum? Juan: Wegen seiner libertären Ideen. Er war nie gegen die
Indígenas - im Gegenteil! Er hat sie verteidigt, er war ein hundertprozentiger
sozialer Kämpfer, er ging dafür ins Gefängnis. Er war dagegen, dass die Regierung
die Menschen missbraucht und diese Ideen haben wir auch. Wir Magonistas sind
Feinde der Ungerechtigkeit. Wir fordern nur ein, was uns zusteht. GWR: Welche Ziele hat die Organisation? Reynaldo: Wir wollen eine andere Welt, eine der eigenen Entscheidungen
und Vorgehensweisen, der Autonomie. Wir wollen, dass man unsere Sitten respektiert,
unsere Art, uns zu organisieren, zu arbeiten, unsere fiestas und unsere tequios
(Kollektivarbeit). Und wir lehnen alle diese Mega-Projekte ab, die die Regierung
schickt und die den Gemeinden Schaden zufügen. Wir verteidigen auch die
Natur. Unser Ziel ist die Autonomie, damit die Gemeinschaften die Macht haben,
über sich selbst zu bestimmen, damit sie sich auf eigene Weise entwickeln
können. GWR: Ein weiteres Mal wurde der CIPO Opfer gewalttätiger
Repression. Wie kam es zu den tragischen Ereignissen vom 16. Oktober 2003 in
Santa Maria Yaviche? Juan: In der Gemeinde wurde unser Compaņero Bartolomé Salas
von den Paramilitärs der CROCUT (eine angebliche soziale Organisation, die der
PRI nahesteht) getötet. Weil Yaviche gegenüber der Landkreishauptstadt nicht
mehr klein beigibt und sich autonom organisiert, ist ein gewisser Jacobo
Chávez sehr verärgert und hat mit der CROCUT zusammengearbeitet. Neun Compaņeros
wurden verletzt, einer wurde von sieben Kugeln getroffen. Bis heute hat die
Regierung nichts getan, wahrscheinlich lachen sie über uns. Dank der
Regierung laufen die Täter frei herum. Wir fordern Gerechtigkeit, auch
internationale Unterstützung. Dieser Jacobo Chávez ist der Terror der Sierra
und er hat Verbindungen zur Regierung. Onorio: Hier weiß jeder, dass die Regierung des Bundesstaates
von José Murat viele Probleme in den Gemeinden verursacht. Sie, die PRIistas,
sind die Verantwortlichen für das, was uns hier zustößt. GWR: Was sind Eure aktuellen Forderungen? Leonor: Wir
werden bedroht, weil wir uns organisieren. Wir fordern Garantien für unsere
Sicherheit, für unsere Gemeinden und auch für das Leben unseres Compaņeros
Raul Gatica (der prominenteste Aktivist des CIPO), der verfolgt wird und
schon geschlagen und eingesperrt wurde. Wir fordern eine Lösung für die Agrarprobleme
und wir wollen unsere Wälder nicht ausbeuten lassen, denn sie sind das Erbe
unserer Kinder. Wir wollen auch nicht mehr, dass sie uns einsperren. Interview: Luz
Kerkeling, Oaxaca, Mexiko (November 2003) Weitere Infos über den CIPO-RFM: www.nodo50.org/cipo * Ricardo
Flores Magón (1873-1922): Mexikanischer Anarchist, Herausgeber der Zeitschrift
„regeneración“, Vordenker und Aktivist des sozialrevolutionären Flügels der
mexikanischen Revolution zwischen 1910 und 1920. -> Startseite Gruppe
B.A.S.T.A. |